TU Chemnitz und Mercedes-Benz kooperieren im Leichtbau
Leichtbau lässt sich als die Wissenschaft und Kunst definieren, Dinge so leicht wie möglich zu gestalten. Auch die Automobilindustrie macht sich diese Kunst gern zunutze, denn je leichter ein Fahrzeug, desto nachhaltiger und effizienter ist es. So setzt Mercedes-Benz bei seiner aktuellen S-Klasse ebenfalls auf Leichtbau. Zu dem umfangreichen Paket an Maßnahmen für ein möglichst geringes Gewicht gehört auch ein neuartiges Mikrosandwich-Material, das der Premium-Fahrzeughersteller mit Unterstützung des Forschungsclusters MERGE an der Technischen Universität Chemnitz entwickeln ließ und das in der S-Klasse gleich dreifach zum Einsatz kommt: in den Kartentaschen der Türverkleidungen, der Hutablage sowie im Lehnenspannteil des Sitzes.
Das speziell für das Interieur der S-Klasse erarbeitete, innovative Material besteht aus drei zusammengefügten Komponenten: zwei dünnen Deckschichten und einem besonders leichten Kern. Sandwich-Verbund nennt sich dieses Prinzip. Im Falle des Mikrosandwichs von Mercedes-Benz handelt es sich um einen Schaumkern, der bereits teilweise aus recyceltem Polyethylenterephthalat (PET) besteht. Die Deckschichten sind, je nach Bauteilanforderungen, aus hybriden glas- oder naturfaserverstärkten Vliesstoffen. Verbunden werden diese Einzellagen durch eine Schmelzklebefolie oder durch eine mechanische Vernadelung, deren Funktionsprinzip dem des Klettverschlusses ähnelt: Zahlreiche Einzelfasern aus den Decklagen durchdringen den Kern, verankern sich in der jeweils gegenüberliegenden Deckschicht und bilden so eine feste Verbindung.
An der TU Chemnitz fanden im Zuge der Materialentwicklung zahlreiche Versuchsreihen im MERGE Research Centre „Lightweight Technologies“ statt. Dr. Roman Rinberg, MERGE-Wissenschaftler und Forschungsbereichsleiter für Biopolymere und Naturfaserverbunde an der Professur für Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung (SLK) berichtet: „Die von uns begleiteten Untersuchungen dienten unter anderem der mechanischen Kennwertbestimmung, mithilfe derer etwa Biegemodul und Biegefestigkeit ermittelt werden. Diese Leistungsmerkmale geben Aufschluss darüber, wie nachgiebig und fest ein Material ist.“ Zusätzlich bot das Leichtbauforschungszentrum der TU Chemnitz den Rahmen für die Charakterisierung des Werkstoffes, die bei heterogenen Sandwichstrukturen wie dieser, die Zusammenhänge zwischen Struktur und Eigenschaften aufdeckt. Damit aus dem entstandenen flachen Material schließlich erfolgreich 3D-Komponenten produziert werden konnten, mussten darüber hinaus aufwändige Simulationen und Umformversuche stattfinden und das resultierende Bauteil mittels einer speziellen 3D-Messtechnik analysiert werden. So wurde der tatsächliche Umformgrad, also die geometrische Veränderung des Werkstücks beim Umformprozess, bestimmt.
Faser-Kunststoff-Verbunde im Automobil
Faser-Kunststoff-Verbunden (FKV), die Polymere mit einer Faserverstärkung kombinieren, kommt im Automobilbau bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten ein besonderer Stellenwert zu. Für den Einsatz im Fahrzeuginnenraum haben sich dabei naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK) als Leichtbaulösung etabliert. So stecken in einem Fahrzeug aus deutscher Herstellung durchschnittlich 3,6 Kilogramm Naturfasern aus Flachs, Hanf, Kenaf oder Baumwolle. „Sandwichverbundbauteile mit leichten Kernwerkstoffen sind eine vielversprechende Strategie zur weiteren Gewichtsminimierung bei biegebelasteten Strukturen“, sagt Rinberg und erklärt weiter: „Im automobilen Interieur stellt die Anwendung dieser Leichtbauweise eine besondere Herausforderung dar, da geeignete Materialkonzepte den Anforderungen der Automobilindustrie sowohl technologisch als auch ökonomisch gerecht werden müssen.“
In enger Zusammenarbeit zwischen den MERGE-Forscherinnen und Forschern, sowie dem bei Mercedes-Benz zuständigen Entwicklungsingenieur Dr. Christoph Menzel wurde seit 2015 eine entsprechende Materiallösung entwickelt. Das Resultat ist ein ökologisches Leichtbaukonzept in Sandwichbauweise, das gegenüber herkömmlichen Komponenten bis zu 50 Prozent Gewicht einspart. Gleichzeitig erlaubt das Mikrosandwich dank seiner guten Thermoformbarkeit die Realisierung komplexer Anwendungen und verbessert die passive Sicherheit für Passagiere im Vergleich zu bisher verwendeten Werkstoffen, indem die hohe Nachgiebigkeit Brüche im Material verhindert.
Hergestellt wird der Mikrosandwichverbund in einem Arbeitsschritt, im sogenannten One-Shot: Formpresswerkzeuge mit kurzen Zykluszeiten erledigen in einem Arbeitsgang die Konsolidierung der Vliesstoffe, bei der die schmelzfähige Faserkomponente durch Abkühlung unter Druck verdichtet wird, das Umformen des temperierten Sandwichverbundes und das Aufbringen des Dekors. Parallel dazu erfolgen auch die Verbindung der einzelnen Schichten, der Kantenverschluss und der Bauteilbeschnitt. Der Einsatz von Naturfasern und die dank dem Mikrosandwich-Konzept erzielte Gewichtsreduktion verringern so die CO2-Emissionen und den Energiebedarf von der Produktions- über die Nutzungs- bis hin zur Entsorgungsphase.
Hintergrund: Forschungscluster MERGE
Intelligente Leichtbaukonzepte sind begehrt. Im Automobilbereich wird der Bedarf an nachhaltigen und effizienten Fahrzeugen durch die aktuelle Diskussion um den Klimawandel und das gestiegene Umweltbewusstsein der Bevölkerung unterstrichen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsclusters MERGE (Merge Technologies for Multifunctional Lightweight Structures) der TU Chemnitz haben diesen Bedarf bereits frühzeitig erkannt. Seit Beginn der Aktivitäten im Jahr 2012 widmen sich die Leichtbauexpertinnen und -experten des Clusters immer wieder auch Fragen der zukunftsfähigen Mobilität, wie etwa Anpassungen in der Fahrzeugarchitektur oder der Entwicklung innovativer Antriebssysteme. So wurden im Rahmen des Forschungsverbundes im Automobilbereich bereits zahlreiche Interieur- und Exterieur-Strukturbauteile geschaffen. Darunter eine Leichtbauradscheibe aus einem Carbon-Aluminiumschaum-Sandwichverbund mit einer Gewichtsreduzierung von 50 Prozent, Fahrzeugsitze, Crashelemente und vieles mehr. Die Forschung in diesem Bereich wird in vielfältigen aktuellen Mobilitätsprojekten fortgesetzt.