Halbes Gewicht, verbesserte Leistung - Chemnitzer Forscher entwickeln Leichtbau-Rad
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Bundesexzellenzclusters „MERGE: Technologiefusion für multifunktionale Leichtbaustrukturen“ an der Technischen Universität Chemnitz haben gemeinsam mit den Partnern des Chemnitzer Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) einen Leichtbauerfolg mit großer Bedeutung für den Automobilbau der Zukunft erzielt: Sie reduzierten das Gewicht eines Pkw-Rades durch den Einsatz von neuartigen Materialien und Strukturen um mehr als die Hälfte. Im Vergleich zu einem Referenzrad aus Stahl, welches etwa 6,8 Kilogramm auf die Waage bringt, wiegt das neue Leichtbaurad aus Chemnitz nur noch 3,02 Kilogramm. Das dreiteilige Rad besitzt eine Sandwich-Radscheibe aus einem Aluminiumschaumkern und Deckschichten aus thermoplastischen Faser-Kunststoff-Verbunden.
Dieses Sandwichdesign nutzt gezielt die Vorteile der eingesetzten Werkstoffe. Vor allem im Automobilbau finden derartige Multi-Material-Bauweisen verstärkt Anwendung. So lassen sich beispielsweise das Gewicht und damit auch der Schadstoffausstoß von Kraftfahrzeugen durch die Kombination neuer Verfahrenstechnologien und intelligenter Materialsysteme reduzieren. Die Verbindung von thermoplastischen Faser-Kunststoff-Verbunden mit Metallschäumen bietet besondere Leichtbaupotentiale vor allem in der Großserie, weiß Alexander Hackert, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesexzellenzcluster MERGE. Er betont: „Hochporöse, metallische Schäume wie Aluminiumschaum besitzen sehr gute mechanische Eigenschaften bei niedriger Dichte und zugleich ein enormes Energieabsorptionsvermögen, was zu einem erhöhten Komfort insbesondere bei Kurvenfahrten beiträgt. Dabei haben sie außerdem eine ausgeprägte Schadenstoleranz.“
Der spezielle Kernverbund macht die Radscheibe des Pkw-Rades enorm steif und gleichzeitig leicht. Der Aluminiumschaumkern weist eine hauchdünne, geschlossene Außenseite auf, die dazu dient, ein optimales Interface zu den kohlenstofffaserverstärkten Deckschichten bereitzustellen. Zusätzlich wird eine Pufferschicht mit Glasfaserverstärkung zur Harmonisierung des Steifigkeitssprunges zwischen Aluminiumschaum und den kohlenstofffaserverstärkten Deckschichten eingebracht. „Durch eine drastische Druckerhöhung bei der Herstellung in thermischen Pressverfahren werden zudem die thermisch induzierten Eigenspannungen im Bauteil eingefroren. Das trägt zu einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit bei, da die hochbelasteten Bereiche des Rades bereits vorgespannt sind“, erklärt Hackert.
Durch die Verringerung der ungefederten Massen konnten die Wissenschaftler außerdem eine Verbesserung der Fahreigenschaften erreichen. Das Fahrzeug wird agiler und es verändert sein Verhalten, wenn der Fahrer auf die Bremse tritt: Es kommt schneller zum Stehen. „Für den Einsatz im Straßenverkehr sind besondere Normen und Vorschriften zu beachten, denn die Sicherheit für die Fahrzeuginsassen und andere Verkehrsteilnehmer muss in jedem Fall gewährleistet sein“, so Hackert. „Auch versehentliche Bordsteinüberfahrten oder das Durchfahren von Schlaglöchern müssen von einem Rad problemlos gemeistert werden“. Umfangreiche Prüfungen des Sandwichverbundes sowie komplexe Bauteilsimulationen haben gezeigt, dass dieses Konstruktionsprinzip auch skalierbar für viele andere Anwendungen ist. „Wenn wir ein Bauteil völlig neu strukturieren und aufbauen, dann wollen wir es nicht nur anders, sondern besser machen“, beschreibt der Ingenieur seine Arbeit.
Das Team um Alexander Hackert konnte die Entwicklung des Leichtbaurades schutzrechtlich als Gebrauchsmuster anmelden und als Patentschrift durch das Deutsche Patent- und Markenamt vorlegen. Als Prototyp der Radfelge bündelt die Chemnitzer Entwicklung Erkenntnisse aus den Voruntersuchungen und Prüfungen zur Bauteilsimulation und dient nun der Weiterentwicklung bis hin zum konkreten Serienbauteil. „Die Untersuchungen an den Kernverbunden haben das enorme Eigenschaftspotenzial der Radscheibe als eine automobile Anwendung gezeigt“, sagt Hackert. Er zeigt sich zuversichtlich, dass Automobilhersteller zur Entwicklung neuer mobiler Lösungen neben alternativen Konzepten wie Elektro- und Wasserstoffantrieb auch auf die leichte Felge made in Chemnitz zurückgreifen werden.